Stottern und Poltern

„Stottern bedeutet unfreiwillige Blockierungen, die Wiederholung und Verlängerung von Lauten, Silben und Wörtern.“

Bloodstein, 1993

Wie häufig tritt Stottern auf?

Das Stottern beginnt meistens im Kindesalter und tritt bei etwa 5 % aller Kinder auf. Stottern kann bereits ab dem Alter von etwa 2 Jahren beginnen. Vor dem 4. Lebensjahr fängt das Stottern bei der Hälfte dieser Kinder an, bis zum 6. Lebensjahr bei 90% all dieser Kinder. Nach dem 12. Lebensjahr ist nur noch sehr selten mit einem Beginn von Stottern zu rechnen.

50-80 % (Silverman, 1996) aller Kinder zeigen eine Remission (spontane Zurückbildung). Unter diesen Kindern sind deutlich mehr Mädchen, so dass im Jugend- und Erwachsenenalter männliche Stotternde im Verhältnis von 4 zu 1 überwiegen. Die Häufigkeit der Remissionen nimmt mit zunehmender Dauer der Störung ab. Nach der Pubertät sind Remissionen beinahe ausgeschlossen. Die Zahl derer, die das Stottern beibehalten, liegt dann bei etwa 1 % der Bevölkerung.

Woran erkenne ich ein Stottern?

Sprechunflüssigkeiten wie Wiederholungen von Wörtern oder Satzteilen, Pausen oder Flicklaute (z.B. äh….) kommen bei allen Sprechern vor, sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen. Sie werden von Zuhörern und Sprechern nicht als Stottern empfunden und irritieren normalerweise nicht.
Auffällig wird der Sprechablauf, wenn Sprechanstrengungen und spezielle Unflüssigkeiten auftreten, z.B.:

  • Blockierungen (Steckenbleiben von Lauten),
  • Dehnungen (wwwann) oder
  • Wiederholungen (kakakakann) von Lauten, Silben oder Wörtern.

Diese sogenannten „Kernsymptome“ lassen sich bei Nichtstotternden fast nie beobachten.
Durch die willentlichen Versuche, das Stottern zu vermeiden oder zu beenden, entwickeln sich „Begleitsymptome“, die teilweise noch auffälliger und belastender sind, als die „Kernsymptome“.

  • Emotionen und Einstellungen, z.B. Sprechangst, Frustration, Versagensängste
  • Verhalten/Sozialverhalten: z.B. Abbruch des Blickkontaktes, Vermeideverhalten von Sprechsituationen
  • Sprechverhalten: z.B. Veränderung der Sprechweise z.B. Flüstern, „singendes Sprechen“
  • Sprachliche Ebene: z.B. Vermeiden gefürchteter Wörter oder Laute, Floskeleinsätze, Satz-, umstellungen oder -abbrüche
  • Motorik: z.B. physische Anspannung, Mitbewegungen, Grimassieren, Kopf- und Armbewegungen, Aufstampfen mit dem Fuß

Was meint mein Kinderarzt mit „normalen Sprechunflüssigkeiten“?

Bei vielen Kindern im Vorschulalter (etwa zwischen dem 3. und 5. Lebensjahr) treten im Rahmen der normalen Sprach- und Sprechentwicklung Redeunflüssigkeiten auf. Dabei handelt es sich zum Beispiel um das ein- oder mehrfache Wiederholen von Silben, Wörtern oder Satzteilen, um Dehnungen von Lauten oder Pausen. Für das Auftreten dieser entwicklungsbedingten Unflüssigkeiten gibt es zahlreiche unterschiedliche Erklärungsansätze. Folgende Beispiele seien genannt:

In den meisten Fällen klingen diese sprachlichen Unflüssigkeiten nach einer Durchgangsphase von alleine ab, wobei sich angemessene Verhaltensweisen der Umwelt meist günstig auswirken. Bei einigen Kindern entwickelt sich aus diesen Unflüssigkeiten jedoch ein beginnendes oder bleibendes Stottern. Bei einigen Kindern tritt auch erst nach vollendeter Sprachentwicklung plötzlich Stottern auf.

Welche Ursache hat das Stottern?

Obwohl sich seit bereits vielen Jahrzehnten immer mehr Wissenschaftler mit dem „Phänomen Stottern“ beschäftigen, konnte die eigentliche Ursache für diese Sprechunflüssigkeiten bis zum heutigen Tag nicht ausreichend geklärt werden.
Nach dem aktuellen Forschungsstand müssen verschiedene Faktoren zusammentreffen, um ein Stottern zu begünstigen. Dabei unterscheidet man

  • Veranlagungsfaktoren (z.B. genetische Vorbelastung, Sprachentwicklungsverzögerung)
  • auslösende Faktoren (z.B. Wortschatz, der so schnell wächst, dass die Sprechmotorik nicht schritt hält)
  • aufrechterhaltende Faktoren (z.B. Angst vor dem nächsten Stottersymptom, angestrengter Versuch, auf keinen Fall zu stottern).

Was können wir als Eltern tun?

Es ist erwiesen, dass sich bestimmte Verhaltensweisen positiv auf die Sprachentwicklung des Kindes auswirken. So können Sie auch Ihrem Kind günstige Bedingungen schaffen, um das Stottern indirekt zu vermindern.

  • Seien Sie selbst ein gutes Sprachvorbild, indem Sie ruhig und etwas verlangsamt sprechen (das Stottern verstärkt sich, wenn Sie selbst sehr schnell mit dem Kind sprechen). Bilden Sie einfache Sätze, die dem Sprachniveau Ihres Kindes entsprechen.
  • Sorgen Sie für entspannte Gesprächssituationen und setzen Sie Ihr Kind nicht unter Sprechdruck
  • Stärken Sie das Selbstbewusstsein Ihres Kindes, indem Sie es selbständig etwas tun lassen, worauf es stolz sein kann. Loben Sie viel.
  • Lassen Sie Ihr Kind nicht Nachsprechen und unterbrechen Sie es nicht, dass erhöht enorm den Sprechdruck.
  • Stellen Sie besonders in den Momenten, in denen das Kind sehr flüssig spricht, viele Situationen her, in denen das Sprechen Spaß macht, z.B. Geschichten erzählen, Rollenspiele, Singen
  • Führen Sie viele „stotterfreie“ Situationen herbei, indem Sie ihr Kind genau beobachten und herausfinden, welche Situationen oder Personen sich positiv auf das Sprechverhalten Ihres Kindes auswirken.
  • Geben Sie Ihrem Kind keine Sonderstellung, weil es stottert. So wie das stotternde Kind nicht wegen seinem Sprechen benachteiligt oder bestraft werden darf, so darf es auch nicht verwöhnt oder bevorzugt werden. Nehmen Sie Ihrem Kind nicht das Sprechen ab und auch keine Tätigkeiten.
  • Stellen Sie Ihrem Kind möglichst wenig Fragen, besonders wenn es ihm schwer fällt, sie zu beantworten.
  • Wenn Ihr Kind über sein Stottern beunruhigt ist, verärgert oder traurig, dann sprechen Sie es ruhig darauf an und trösten Sie. Ihr Kind braucht gerade in diesen Momenten Ihren Zuspruch und die Gewissheit, dass Sie es lieb haben und Ihnen nicht das „Wie“ es spricht, sondern das „Was“ wichtig ist. Die Behauptung, dass Kinder erst dann auf das Stottern aufmerksam werden, ist völlig veraltet.

Weiterführende Literatur und Informationen zu diesem Thema finden Sie unter www.bvss.de und unter www.stottern-und-schule.de und unter www.demosthenes-verlag.de. Sollten Sie zusätzliche Informationen wünschen, nehmen Sie Kontakt zu uns auf.

Was erfolgt in der Therapie?

Ein wichtiger Hinweis vorab. Wir können das Stottern nicht „wegtherapieren“ oder heilen, sondern wir werden gemeinsam mit Ihnen und Ihrem Kind einen selbstbewussten und angstfreien Umgang mit seinen Stottersymptomen erarbeiten.
Dabei ist uns ein vertrauensvoller, altersgerechte Umgang mit Ihrem Kind sehr wichtig
Mit dem „Interaktiven Stottertest“ können Sie herausfinden, ob eine Untersuchung oder eine Behandlung erforderlich ist.

Therapie

Es gibt im deutschsprachigen Raum eine Vielzahl unterschiedlichster seriöser und unseriöser Therapieverfahren. Diese lassen sich unterscheiden nach Verfahren, die dem Patienten ermöglichen, mit ihrem Stottern selbstbewusst umzugehen und in die Stottersymptomatik einzugreifen. Die zugrundeliegende Theorie ist, dass bei Stottern die Patienten grundsätzlich sprechen können, aber zwischenzeitlich Zusammenbrüche der Sprechfähigkeit auftreten. Daher muss ein Patient nicht das Sprechen neu lernen, sondern er muss lernen, die Symptome entweder rechtzeitig vorher „abzufangen“ oder, wenn dies nicht gelingt, das Symptom möglichst schnell unter Kontrolle zu bekommen und dann aufzulösen. Dafür erarbeiten sich die Patienten einen angstfreien Umgang mit Stottern. Auf diese Weise können sie auch mit den stottertypischen Phasen mit verstärkter Symptomatik zurecht kommen. Wesentlich ist, dass stotternde Kinder keine Angst vor dem Stottern, Sprechen oder vor Zuhörern aufbauen, sondern sich als kompetente Sprecher erleben und so ihr Selbstbewusstsein behalten.

Wo bekomme ich noch mehr Informationen?

Der Demosthenes Verlag der Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe e.V., Köln, Gereonswall 112, 50670 Köln hat einige interessante Bücher herausgebracht:

  • Heap, R.: Wenn mein Kind stottert. Ein Ratgeber für Eltern
  • Schindler, A.: Stottern und Schule. Ein Ratgeber für Lehrerinnen und Lehrer
  • Oertle, H..M.: Therapie des Stotterns. Ein Ratgeber.
  • Natke, B. und andere: Benni: U-und? Wwwo ist das P-problem? (Comic)
  • De Geus, E.: Manchmal stotter ich eben. Ein Buch für stotternde Kinder von 7 bis 12 Jahren

Außerdem gibt es hier kostenlose Faltblätter für jugendliche und erwachsene Stotternde, Eltern, Lehrer, Erzieherinnen, Kinderärzte, z.T. auch auf türkisch und russisch. Auch der Ulrich-Natke-Verlag in Neuss hat sich auf Stottern spezialisiert. Hier gibt es u.A. das Bilderbuch für Kinder im Vor- und Grundschulalter:

  • Schneider, P.: Was ist ein U-u-uhu
  • Interessant ist außerdem die Broschüre
  • „Stottern, Kommunikation zwischen Partnern“, Band 205.

Diese kann gegen Portogebühr bei der Bundesarbeitsgemeinschaft für Behinderte, Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf angefordert werden.

Nützliche Adressen

  • Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe e.V.
    Tel: 0221/1391106 oder 1391107
    www.bvss.de
  • Deutscher Bundesverband für Logopädie e.V.
    Tel: 02234/691153
    www.dbl-ev.de
  • Interdisziplinäre Vereinigung Stottertherapie e.V.
    www.ivs-online.de